Hier findet Ihr verschiedene Texte zur Diskussion über die Wahlaltergrenze. Da die uns unterstützenden Organisationen dazu verschiedene Ansichten vertreten, kommen hier auch verschiedene Standpunkte zu Wort.
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Warum wählen wir eigentlich?

Dass Wahlen zur Demokratie gehören, ist bekannt. Es ist so bekannt, dass manche gar nicht wissen, warum das so ist. Das ist meistens auch egal. Wichtig wird der Zusammenhang von Demokratie und Wahlen aber bei der Frage, auf die die Kampagne ICH WILL WÄHLEN zielt: Wer darf an Wahlen teilnehmen und wer nicht?

In Artikel 20 des Grundgesetzes (GG) heisst es "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus". Das ist der demokratische Grundsatz schlechthin. Die spannende Frage ist dabei: Wie geht das von statten, dass vom Volk die Staatsgewalt "ausgeht"? In der Bundesrepublik scheint es oft so, als seien die Wahlen zu Bundestag, Landtag und Kommunalvertretungen die einzige Art und Weise, wie die Staatsgewalt vom Volk ausgehen könne. Das heisst, Demokratie bestünde schlechthin nur darin, ab und an zu wählen. Das legt nahe zu denken: Demokratie = Personen wählen. Und wenn man dann wissen will, was zu Wahlen im Grundgesetz steht, liest man: "Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat" (Artikel 38 Abs.2 GG). Weitere Fragen stellen sich dann nicht.

Aber: Die Sache sieht anders aus, wenn man sich überlegt, was genau Wahlen mit Demokratie zu tun haben. Dafür müssen wir zum demokratischen Grundsatz zurückkehren: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." - Warum ist das eigentlich der demokratische Grundsatz? Das hat nicht irgendjemand mal so festgelegt, sondern das kann man begründen. Die Begründung geht so:

Alle sollen frei sein

Am Anfang steht die Auffassung, dass alle Menschen frei sein sollen. Es ist nur eine andere Formulierung für diese Auffassung, wenn man sagt, jeder Mensch soll sich selbst bestimmen können. (Darin unterscheidet sich übrigens der Mensch von den Dingen: Die Dinge können sich nicht selbst bestimmen, sondern sie unterliegen Naturgesetzen.)

Wenn sich aber jeder Mensch so verhält, wie er es allein für richtig hält, dann kommt er früher oder später mit seinen Mitmenschen ins Gehege. Dieser Konflikt zwischen den Menschen muss irgendwie gelöst werden, indem der Selbstbestimmung jedes einzelnen zugunsten der Selbstbestimmung der anderen Grenzen gesetzt werden. Wenn man den Konflikt nämlich nicht löst, dann setzt sich der Stärkere durch. Das ist unerfreulich, weil sich dann nur noch der Stärkere selbst bestimmen kann, also nur noch der Stärkere frei ist, während sich die Schwächeren nach seinem Willen richten müssen. Es gibt nur eine Alternative: Alle müssen gemeinsam und gleichberechtigt mitbestimmen, welche Grenzen die Selbstbestimmung des einzelnen hat.

Wenn man sich nicht einigen kann, muss man abstimmen, wobei jede Stimme gleichviel zählt. Es sind nur diejenige Grenzen mit der Freiheit des einzelnen vereinbar, an deren Festlegung er selbst und gleichberechtigt mit allen anderen mitgewirkt hat. Und weil die Einhaltung dieser Grenzen bisweilen mit staatlicher Gewalt durchgesetzt werden muss, fasst Artikel 20 diesen ganzen Gedankengang auf die Formel "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus".

Kamen bisher Wahlen vor? - Nein. Es ging um Regelungen, die die Freiheit der Menschen untereinander in einen Ausgleich bringen. Wahlen sind nichts als ein Hilfsmittel, um diese Regelungen zu treffen. Es gibt nämlich ziemlich viel zu regeln und manchmal sind die Fragen inhaltlich sehr schwierig, so dass sich nicht alle Menschen gleichermaßen damit angemessen befassen können. Darum werden Leute gewählt, denen der Erlass der konkreten Regelung vertretungsweise überlassen werden soll. Das ist bisweilen sicher vernünftig, aber man muss sich trotzdem immer vor Augen halten: Wahlen sind eine pragmatisch begründete Abweichung vom demokratischen Grundsatz, dass alle Menschen gleichberechtigt an den Regelungen, die ihre Selbstbestimmung begrenzen, selbst mitwirken sollen.

Bescheidener Rest einer fundamentalen Idee

Die Wahlen in der Bundesrepublik sind der bescheidene Rest der fundamentalen Idee von Selbstbestimmung, also der Idee von Freiheit der Menschen in ihrem Zusammenleben untereinander. Das bedeutet: Wer von den Wahlen ausgeschlossen ist, ist von diesem Rest ausgeschlossen. Wer nicht wählen darf, ist im Verhältnis zu allen anderen, die wählen dürfen, selbst dieser bescheidenen Freiheit beraubt.

Darum ist das Recht zu wählen hierzulande das fundamentale Recht schlechthin. Es ist das Eine, dass diese bescheidene Freiheit für alle z.B. durch Volksabstimmungen erweitert werden muss. Aber es ist das Andere und Skandalösere, dass einigen sogar dieses fundamentale Recht verweigert wird.

Florian Rödl studierte Rechtswissenschaft und Philosophie. Zwei Jahre gehörte er dem Bundesvorstand von JungdemokratInnen/Junge Linke an
Er ist 29 Jahre alt

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