Liebe Antje Vollmer,
vielen Dank für Deinen Brief. Wir
waren sehr gespannt, was Du uns schreibst. Und jetzt möchten
wir Dir darauf noch einmal antworten, denn wir sind an einigen
Stellen von Deiner Antwort enttäuscht gewesen.
Im zweiten Absatz schreibst Du,
daß Du uns anders besser helfen kannst, als Dich auf die Unterstützerliste
setzen zu lassen. Wir finden auch, daß es viele Möglichkeiten
gibt, Kinder zu unterstützen. Deine Ansicht erinnert uns aber
viel zu sehr an die typische Erwachsenen-Meinung, daß sie
nämlich besser wissen, was für Kinder die richtige Hilfe ist.
Solange uns keiner inhaltlich überzeugende Argumente gegen
unsere Forderung vom Wahlrecht ohne Altersgrenze vorlegt,
solange bitten wir um Unterstützung bei der Erreichung dieses
Ziels. Und dann hilft es nicht, wenn unser Wunsch mit "anders
besser" beantwortet wird. Wie sollen die Interessen von
Kindern durchgesetzt werden - ohne daß sie tatsächlich Anteil
an der Macht erhalten?
Wir glauben jedenfalls wirklich,
daß Dein Name auf der Liste große Bedeutung für das Erreichen
von Gleichberechtigung hätte.
Eine Herabsetzung des Wahlalters
kommt einer Diskriminierung aller derjenigen gleich, die unter
jeweiligen Altersgrenze liegen. Aber nicht nur deswegen halten
wir nur die Abschaffung der Altersgrenze für sinnvoll:
1. liefe eine Herabsetzung auf
die Argumentation hinaus, daß "auch die 16jährigen schon
fähig" seien, zu wählen - obwohl es nicht um "Fähigkeit"
geht.
2. werden wir mit dem Wahlrecht
ab 16 auch nicht "aus dem Dilemma herauskommen, daß immer
ältere Menschen über immer weniger Junge und deren Zukunftschancen
entscheiden" (wie Du in Deinem Brief schreibst). 16-
und 17jährige sind maximal 3 % Wählerpotential, 0-18jährige
sind deutlich mehr - darauf müssen Politiker Rücksicht nehmen!
3. wird die Grundidee der Gleichberechtigung
(auch das Alter darf kein Grund sein, Menschen zu diskriminieren)
bei der Herabsetzung des Wahlalters verfehlt.
4. glauben wir, daß die Probleme
der jetzigen Demokratie (z. B. Desinteresse oder steigende
Gewalt und Kriminalität) vor allem auch deswegen entstehen,
weil die Menschen die ersten Jahre ihres Lebens nicht ernst
genommen, teilweise sogar unterdrückt werden und z. B. nicht
gleichberechtigt mit(be)stimmen können: Wenn Menschen von
Anfang an schlechte Erfahrungen mit der "Demokratie"
machen (sie ist keine, weil sie für Kinder nicht gilt), trägt
das bei vielen dazu bei, daß sie sie nicht erstrebenswert
finden und sich nicht für sie einsetzen - selbst wenn sie
erwachsen geworden sind. Eine Herabsetzung des Wahlalters
greift dies überhaupt nicht auf.
5. ist damit die Chance einer "kleinen
Revolution" fast verschwunden. Eine Grundgesetzesänderung
in diese Richtung wird nicht ein erster Schritt sein (wie
es viele entschuldigend behaupten), sondern der letzte. Das
bedeutet: Wahlrecht für alle oder ab 14, zwölf etc. wird nach
einer Verabschiedung erst in zwanzig Jahren wieder diskutiert
werden (siehe Diskussion Herabsetzung von 21 auf 18 Jahre).
"Wer eine Veränderung der
Verhältnisse für unmöglich erklärt, trägt selbst dazu bei,
sie unmöglich zu machen." (Simone de Beauvoir). Vielleicht
wäre die Realisierung unserer Forderung tatsächlich eine "kleine
Revolution". Aber waren nicht die auch der Kampf um Demokratie
oder die Einführung des Frauenwahlrechts mindestens kleine
Revolutionen? Hatten nicht beide lange Zeit den Ruf der Undurchführbarkeit?
Es gibt schon einige prominente und einflußreiche Menschen
(auch Bundestagsabgeordnete), die der Idee von der Abschaffung
der Altersgrenzen mit ihrem Namen eine Chance gegeben haben.
Unsere Bitte lautet jetzt: Trag auch Du dazu bei, daß unsere
Forderung realisierbar wird. Je mehr prominente Menschen uns
namentlich unterstützen, desto schwieriger wird es in Zukunft
zu behaupten, unsere Forderung sei unrealistisch. Sie ist
nicht nur eine Provokation, die uns Aufmerksamkeit in den
Medien sichern soll - sie ist sehr ernst gemeint, und durch
ihre Realisierung wird die vielfach geforderte Verbesserung
der Lage der Kinder - und damit ein wichtiger Beitrag zum
Frieden (Zufriedenheit) in der Gesellschaft - nach unserer
Überzeugung eher erreicht. Im Übrigen glauben wir, daß sie
die einzig demokratische (und logische) Lösung der Frage Wahlrecht
- ab wann? ist. Du schreibst, unsere Forderung hieße, "die
Bildungsprozesse des Verstandes gänzlich unberücksichtigt
zu lassen bei der Vergabe von staatsbürgerlichen Rechten und
Pflichten". Wie wir mehrfach versucht haben, deutlich
zu machen, ist das Wahlrecht kein Bürgerrecht, sondern ein
Grundrecht. Es ist das wichtigste politische Grundrecht überhaupt,
das hat sogar das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Deswegen
hat es nichts zu tun mit Verträgen, Arbeits- oder Strafrecht.
Grundrechte sind eine Konkretisierung der Menschenwürde (Art.
1 GG). Bekanntlich prüft man auch bei Erwachsenen nicht, inwiefern
sie gebildet sind (bzw. schon wieder zurückgebildet?), also
ist es eine subjektive Schätzung von Dir, daß Kinder (unter
16 oder unter 14 oder unter was?) noch nicht gebildet genug
sind. Wir haben lange geforscht und bisher noch keine wissenschaftliche
Untersuchung dazu gefunden. Aber auch eine solche Untersuchung
würde sich nur auf Durchschnitte berufen können. Wenn es um
die Würde des Menschen geht, kann man da mit Schätzungen und
Durchschnitten argumentieren? Wird jemandem sein Wahlrecht
entzogen, so müssen zwingende Gründe vorliegen, sagen unter
anderem auch die führenden Kommentatoren des Grundgesetzes
(Maunz-Dürig). Diese liegen bei Schätzungen und Durchschnitten
nicht vor. "Nicht zuletzt hinsichtlich der Strafbarkeit
spielt das Lebensalter eine Rolle - nämlich zum Schutz der
Kinder" schreibst Du. Wir haben Dir damals das Buch "Gleichberechtigung
im Kinderzimmer" mitgebracht. Auf dem Cover steht ein
erwachsener Mensch neben einem Kind an einer Meßlatte. Damit
beide oben heranreichen, steht das Kind auf einem Sockel auf
dem RECHT steht. Für uns bedeutet das: Schwächeren Menschen
in der Gesellschaft (wie z.B. Kindern) dürfen Rechte nicht
weggenommen werden, sondern sie müssen zum Schutz mehr Rechte
bekommen. Schutz darf nicht Einschränkung bedeuten. Bei dem
Journalisten vom Deutschlandradio wolltest Du Dich zuerst
auf kein Wahlalter festlegen - weil Du auch weißt, daß es
eigentlich ungerecht ist, eine willkürliche Altersgrenze zu
ziehen? Hast Du Angst, zuviel zu riskieren, wenn Du uns unterstützt?
Wir würden uns freuen, wenn Du uns außerdem noch schreibst,
was Du bezüglich der anderen drei Punkte aus dem Brief, den
wir Dir am 22.4. übergeben haben, unternommen hast.
· Alle Parteien des Bundestages
mit unserer Wahlrechtsforderung konfrontieren und Stellungnahmen
erbitten
· Öffentlichkeit für unsere kinderrechtlichen
Positionen (Hast Du Bekanntschaft zu bestimmten Journalisten,
engagierten Mitarbeitern von Institutionen oder Gesellschaften?)
· Welche Möglichkeit siehst Du,
unsere Arbeit finanziell zu unterstützen?
· Bist Du (vielleicht doch noch)
bereit, Dich auf die Unterstützerliste setzen zu lassen?
Wir sind gespannt auf eine Antwort
(diesmal ohne gestempelte Unterschrift?).
Viele Grüße von
K.R.Ä.T.Z.Ä.